Intonation, Reiner Janke
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Grundzüge Zungenintonation
This article in English translation by Michael McNeil
Voraussetzung für die Intonation einer Zunge ist immer, dass
die Kehle absolut plan geschliffen ist und dicht in der Nuss
passt. Das Zungenblatt darf keine Verformungen durch das
Schneiden erlitten haben und sollte nicht in der Längsachse
verdreht sein.
Für einen guten Klang und auch für das
"Funktionieren" einer Zunge ist die Mensur mit allen
Detailmaßen von wesentlich größerer Bedeutung
als bei Labialpfeifen. Besonders die Proportionen von
Becherdurchmesser zu Becherspitze und Becherdurchmesser zu
Kehlen-innendurchmesser sollten sich grob an den Proportionen
Cavaillé-Colls orientieren. 1/8 für Becher/Spitze und
1/11 für Becher/Kehle.
Mit der Bezeichnung "vorne" ist das Ende der Zunge
gemeint, bei dem der Aufwurf am höchsten ist.
Ausgangspunkt für diese exemplarische Beschreibung ist c1
eines Trompetentones mit durchschnittlicher Mensur und offener
Parallelkehle.
Die Maße sind etwa folgende:
Becherdurchmesser innen:
70 mm
Becherspitze innen: 9 mm
Kehleninnendurchmesser: 6,5 mm
Aufwurf des
Zungenblattes
Für den Aufwurf
gibt es unzählige Möglichkeiten. Es lassen sich jedoch
zwei Grundtypen bestimmen. Weil sie eng mit der
dazugehörigen Mensur und einem typischen Klangbild verbunden
sind, kann man auch vom deutschen und französischen Bogen
sprechen.
Der deutsche Bogen folgt im Grunde einem exponentiellen Verlauf.
Die Krümmung der Zunge beginnt ganz allmählich am
Auflagepunkt der Krücke und erreicht den stärksten
Bogen am Ende des Zungenblattes.
Der französische Bogen beginnt in gleicher Weise, erreicht
jedoch das Maximum der Krümmung im Bereich der Hälfte
bis zum vorderen Drittel des schwingenden Teiles vom Zungenblatt.
Danach nimmt der Bogen exponentiell wieder ab.
Es gibt viele Techniken ein Zungenblatt aufzuwerfen, und keine
ist für alle Fälle die Vorteilhafteste. Allen Techniken
gemein sollte aber ein Ziel sein. Das Zungenblatt muss beim
Biegen auf der gesamten Breite gleichmäßig verformt
werden und das Blatt sollte, wenn man es vorne
herunterdrückt, kontinuierlich abrollen. Dieses theoretisch
so klare und einleuchtende Ziel ist in der Praxis jedoch nur sehr
schwer bei jedem Ton in gleicher Weise zu erreichen.
Ob ein Zungenblatt auf seiner gesamten Breite
gleichmäßig stark gebogen ist, lässt sich am
besten anhand der Reflexion einer punktförmigen Lichtquelle
auf der konvexen Rückseite des Blattes kontrollieren. Bei
einer polierten Zunge ist dort ein heller Strich quer zum Blatt
zu sehen. Ist er nicht rechtwinklig zur Achse des Zungenblattes,
so ist der Aufwurf ungleichmäßig über die Breite
verteilt. Wird der Strich viel dicker, so ist der Aufwurf an
dieser Stelle zu schwach. Bei einer optimal gebogenen Zunge
verläuft der Strich über die gesamte Länge des
schwingenden Teils im rechten Winkel und ändert seine Dicke
wenig.
Ob ein Zungenblatt kontinuierlich abrollt, wird kontrolliert,
indem man die Zunge mit dem linken Finger, an der Stelle, wo die
Krücke anliegt, auf einem planen Holzklotz festhält und
mit dem rechten Finger das vordere Ende langsam
herunterdrückt. Schließt sich der Spalt zwischen
Zungenblatt und Klotz beim kontinuierlichen Herunterdrücken
plötzlich auf einer längeren Strecke, so ist das Blatt
vor dieser Stelle zu stark und im Bereich dieser Strecke zu
schwach gebogen. Wird die Zunge vorne ganz heruntergedrückt
und hebt sich im mittleren Bereich wieder ein Stück an, so
ist das Zungenblatt im vorderen Bereich zu stark und in der Mitte
zu schwach aufgeworfen. Bei einem ausgewogen gebogenen Blatt
schließt sich der Spalt kontinuierlich und der Gegendruck
auf den Finger fühlt sich gleichmäßig an.
Bestimmung des
Bourdonpunktes
Für die
Überprüfung der Intonation einer Zunge ist es
zunächst nötig, sie auf den sog. Bourdonpunkt zu
stimmen. Dazu wird der Zungenton zunächst einige Töne
höher als seine normale Tonhöhe gestimmt. Danach stimmt
man den Ton solange tiefer, bis er plötzlich umkippt. Die
letzten Schläge auf die Krücke vor dem Umkippen sollten
ganz vorsichtig ausgeführt werden. Ist das Zungenblatt
optimal gebogen, klingt der Ton nun sehr grundtönig ohne
allzu viel Schnarren, so als würde ein Bourdon gleicher
Tonhöhe dazu erklingen. Verhält sich der Zungenton
anders als eben beschrieben, so ist meist das Zungenblatt noch
nicht richtig gebogen.
Stimmt man den Ton immer tiefer, so schmettert er immer
stärker und allmählich verschwindet die Fülle (der
Bourdon). Ab einem bestimmten Punkt (ca. einem Halbton)
ändert sich die Klangfarbe plötzlich. Den Punkt kurz
vor erreichen dieses Wechsels nennt man brillianten Punkt.
Ein Zungenton sollte nie höher als der Bourdonpunkt gestimmt
werden, da sonst die Gefahr besteht, dass er umkippt wenn die
Raumtemperatur einige Grade kälter wird. Ob ein Ton schon
höher als der Bourdonpunkt gestimmt ist, kann leicht
geprüft werden, indem man den Becher mit der Hand
schließt und anschließend wieder öffnet. Beim
Schließen sollte er in einen höheren Ton umkippen und
anschließend beim Öffnen wieder zurück in den
richtigen Ton. Erklingt er weiter zu hoch, so ist der Becher zu
lang oder die Zunge zu hoch gestimmt.
Veränderungen
und Reaktionen
Zunge stärker
aufwerfen
lauter, grundtöniger, langsamere Ansprache
Der Ton springt früher in den Bourdonpunkt, klingt dann
weicher und ist stabiler
Zunge schwächer aufwerfen
leiser, obertöniger, schnellere Ansprache
Der Ton springt später in den Bourdonpunkt, klingt dann
schärfer und ist unstabiler
Näher zum Bourdonpunkt
weicher, grundtöniger, leiser
Die Zunge wird sehr stark durch die Resonanz des Bechers
gedämpft. Dadurch fallen Fehler im Bogen des Zungenblattes
nicht so auf, und die Stimmung ändert sich bei einer
Veränderung der Temperatur gegenüber den Labialen
weniger.
Der Zungenton wird stärker vom Becher bestimmt.
Näher zum brillianten Punkt
schärfer, obertöniger, lauter
Die Zunge wird nur noch sehr schwach von der Resonanz des Bechers
gedämpft. Für einen gut klingenden Ton muss das
Zungenblatt fehlerfrei gebogen sein, sonst klirrt er metallisch
hart. Durch den schwächeren Einfluss der Resonanz des
Bechers ändert sich die Stimmung gegenüber den Labialen
bei Temperaturänderungen erheblich.
Der Zungenton wird stärker vom Zungenblatt bestimmt.
Funktionsweise der
Zunge
Da es bisher keine wissenschaftlichen Untersuchungen über
die Funktion der Zungenstimmen gibt, seien hier einige
Überlegungen ausgeführt, die aus meiner praktischen
Arbeit herrühren.
Da ein Zungenton, anders als eine Labialpfeife, auch ohne
Resonanzkörper recht laut klingen kann, ist er nicht
unbedingt auf einen Resonator angewiesen. Bei den
vielfältigen Erscheinungsformen lässt sich vielleicht
am Besten ein Grundmodell aus Dämpfung und Verstärkung
entwerfen.
Ausgehend von einem gleichmäßig gekrümmten
Zungenblatt (radial gebogen wie ein Kreisausschnitt) möchte
ich zunächst einige Dämpfungs- und
Verstärkungsfaktoren aufzählen.
Dämpfung:
Exponentieller Zungenaufwurf
Öffnungsschlitz der Kehle verkleinern
Härte der Kehlenauflagefläche verringern (z.B. durch
Leder)
Kehlendurchmesser verengen
Bei vorhandenem Becher:
Becherspitze verengen
Näher zum Bourdonpunkt
stimmen
Becherdurchmesser verkleinern
Becheröffnung
schließen
Verstärkung:
Zunge vorne flach gebogen
Öffnungsschlitz der Kehle vergrößern
Kehlendurchmesser vergrößern
Bei vorhandenem Becher:
Becherspitze erweitern
Näher zum brillianten Punkt
stimmen
Becherdurchmesser
vergrößern
Alle aufgeführten Parameter beeinflussen die Stärke des
Zungenblattaufschlages. Bei großer Dämpfung
schlägt das Blatt nur noch mit sehr geringer Kraft auf oder
es wird vorne sogar gar nicht mehr dicht. Dies führt zu
einem sehr weichen Ton. Bei geringer Dämpfung schlägt
das Zungenblatt mit großer Energie auf die Kehle. Dadurch
klingt der Ton sehr klirrend.
Das Verhalten einer Zungenstimme um den Bourdonpunkt scheint mir
am interessantesten und wichtigsten. Es gibt, ähnlich wie
das Anblasen einer Labialpfeife, am meisten Aufschluss über
den Zustand eines Zungentones.
Dass er an dieser Stelle so weich und voll klingt, erkläre
ich mir aus dem Zusammenspiel zwischen Becherresonanzfrequenz und
Zungenfrequenz. Ist die Zungenfrequenz etwas höher als die
Becherresonanzfrequenz, so trifft das aufschlagende Zungenblatt
auf die ankommende reflektierte Schallwelle des Bechers. Dadurch
wird der Aufschlag gedämpft und der Ton klingt weich und
gedämpft. Ist die Zungenfrequenz etwas tiefer als die
Becherresonanzfrequenz, so wird das aufschlagende Zungenblatt von
der zurückgehenden Schallwelle zusätzlich noch
angesogen. Dadurch klingt der Ton viel härter und
schärfer.
Ein wohlklingender Zungenton, besonders der tiefen Lage, ist
immer eine gelungene Balance zwischen Dämpfung durch den
Bogen des Zungenblattes und der Becherresonanz.
Reiner Janke
Intonateur
www.orgel-info.de