Intonation, Reiner Janke
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Auszug aus der Festschrift zur Weihe der Orgel in der kath.
St. Georgskirche in Riedlingen, erbaut von Freiburger Orgelbau Hartwig
Späth 1997, III/52
Intonation - was ist das?
Die Intonation ist die klangliche Gestaltung der Orgelpfeifen.
Dabei wird der Bereich des Labiums (Gesicht der Pfeife) mit
Spezialwerkzeugen bearbeitet, um die Pfeife in Klangfarbe und
Lautstärke zu verändern und ihr einen klaren und vollen
Ton abzugewinnen, den sie nach der Herstellung noch nicht gibt.
Außerdem müssen alle Register (Pfeifenreihen einer
Bauform) in sich wie auch zueinander in Klangcharakter und
Lautstärke ausgeglichen und gestimmt werden. Der Intonateur
bezieht den Stil der Orgel und die Raumakustik in seine Arbeit
ein. Neben der Intonation wird der Klang einer Orgel noch durch
die Disposition (Zusammenstellung der Register) und die Mensuren
(Verhältnis von Durchmesser zu Länge) wesentlich
bestimmt. Die Intonation hat jedoch den größten
Einfluß auf den Klang.
Das Intonieren ist sehr gut mit der Stimmbildung eines
Sängers zu vergleichen. In beiden Fällen ist es
wichtig, daß alle an der Klangentwicklung beteiligten Teile
optimal aufeinander abgestimmt und weit geöffnet sind. Beim
Sänger ist dies der Rachenbereich und bei der Pfeife der
Bereich um das Labium (das Loch, an dem der Pfeifenton entsteht).
Die Legierung (Mischungsverhältnis von Zinn und Blei), die
Bearbeitung und das Alter einer Pfeife beeinflussen den Klang
dagegen fast nicht. Es schwingt ja kein Material wie bei einer
Geige, sondern Luft, eine Art "Luftsaite", die auch Luftblatt
genannt wird. Je nachdem wie dieses Luftblatt beschaffen ist, das
um die Kante des Oberlabiums schwingt, ändert sich die
Tonqualität einer Pfeife.
Im Laufe der Orgelbaugeschichte haben sich viele
Intonationstechniken entwickelt, mit denen das Luftblatt in
seiner Beschaffenheit verändert wird. Von 42 möglichen
Parametern, die den Klang einer Pfeife beeinflussen können,
haben die Höhe des Aufschnitts (der Schlitz im "Gesicht" der
Pfeife), die Weite der Kernspalte (die Spalte, aus der die Luft
ausströmt, die die Pfeife zum Klingen bringt) und sogenannte
Kernstiche (das sind Kerben, die in Richtung der
Luftströmung in eine oder beide Kanten des Luftspaltes
eingedrückt werden) den größten Einfluß auf
den Klang.
Die Orgel der St. Georgskirche, eine romantische Orgel?
Die Intonationstechniken
Bei der Orgel hier in Riedlingen fällt der warme und
weiche Klang auf. Er ist die Folge einer sehr zeitaufwendigen
Intonation (ca. 20 Minuten pro Pfeife), bei der
ausschließlich alte Intonationstechniken des 18. und 19.
Jahrhunderts verwendet wurden.
Im Gegensatz dazu werden für die meisten neuen Orgeln mehr
oder weniger abgewandelte neobarocke Intonationsmittel verwendet,
die aus der sogenannten "Orgelbewegung" entstanden sind. (Die
Orgelbewegung ist eine Laienbewegung, die den europäischen
Orgelbau seit den 30er Jahren unseres Jahrhunderts bewogen hat,
wieder Orgeln nach den barocken Prinzipien zu bauen.) Diese Form
der Intonation hat in wesentlichen Bereichen keine
Gemeinsamkeiten mehr mit den Intonationstechniken der
vorhergehenden Jahrhunderte. Das Kennzeichen neobarocker
Intonation ist ein kühler und scharfer Klang, der sich wegen
der fehlenden Fülle und Weichheit nicht für
pastellfarbene Klangschattierungen der romantischen Musik
eignet.
Das Konzept
In jeder Epoche der vergangenen Jahrhunderte lebte der
Orgelbau immer nur in einen gültigen Stil. Unser Jahrhundert
blickt auf mindestens 300 Jahre Musikgeschichte zurück und
interpretiert und kombiniert diese Musik. So wird, wenn heute
eine größere Orgel gebaut wird, von ihr erwartet,
daß möglichst die gesamte Orgelmusik stilgerecht
dargestellt werden kann. Dieser Wunsch kann aber nicht
erfüllt werden, denn die Anforderungen innerhalb der
Länder, Regionen und Epochen sind so unterschiedlich,
daß sich bestimmte Konstellationen gegenseitig
ausschließen. Es ist aber möglich, verwandte
Musikepochen und -stile zu kombinieren.
Damit es dabei zu einem in sich geschlossenen und
charakteristischen Instrument kommt, muß ein Schwerpunkt
der Musikepoche und des -stils gesetzt werden, der jedoch
zeitlich und stilistisch erweitert und kombiniert werden
kann.
Im Riedlinger Fall ist die Mitte des 19. Jahrhunderts der
deutschen Romantik dieser Schwerpunkt. Er ist um
französische Elemente, wie das Récit, und im Haupt-
und Schwellwerk um spätbarocke Register, wie z.B. die
Mixturen, erweitert und ergänzt.
Auch die Intonation ist so angelegt, daß bei bestimmten
Registern Stile und Epochen kombiniert werden. Der Prinzipal 8'
des Hauptwerks hat zwar die Fülle und Weichheit eines
französischen Montres, besitzt dabei aber doch die Klarheit
eines deutschen Prinzipales. Die Oktave 2' klingt bei barocken
Stücken im Prinzipalchor leuchtend, mischt sich aber dennoch
beim romantischen Registercrescendo ohne Schärfe unter.
Daß diese Kombination ein überzeugender Weg ist,
läßt sich an einigen historischen Instrumenten
erfahren, die entweder über mehrere Generationen von guten
Orgelbauern mit Registern oder Werken aus unterschiedlichen
Zeiten erweitert und ergänzt wurden oder aus der Zeit des
Übergangs vom Barock zur Romantik stammen. Auch neuere
Instrumente aus den letzten Jahren zeigen die Vielseitigkeit
eines solchen Konzeptes. Voraussetzung dafür ist allerdings,
daß jedes Register mit den typischen Mitteln der jeweiligen
Zeit oder einer Kombination davon intoniert wird, damit sich ein
reichhaltiger und harmonischer Klang entfaltet.
Musikinterpretation heute
Zur Zeit werden in der Orgelszene die harmonischen und fein
differenzierten Klänge der romantischen Orgel
wiederentdeckt, und die Orgelmusik der Romantik, die zu Anfang
der Orgelbewegung als dekadent bezeichnet wurde, hat inzwischen
einen fast gleichberechtigten Stellenwert neben der
Barockliteratur gefunden. Im Gegensatz zur Barockmusik, deren
Polyphonie (gleichberechtigte, selbständig geführte
Stimmen) von Verzierungen und hellen Klängen lebt, verlangt
die homophone Musik (hervortretende Melodie, die von anderen
Stimmen begleitet wird) der Romantik nach weichen, sehr
verschmelzungsfähigen Registern, die dynamisch fein
abstufbar sind.
Romantischen Orgeln, besonders denen der Jahrhundertwende,
hängt der Makel an, daß sie, zu Gunsten einer guten
Klangverschmelzung, bei komplexen polyphonen Sätzen nicht
mehr durchsichtig genug klingen und daher nicht für barocke
Musik geeignet sind. Für die kirchenmusikalische Praxis ist
dies eine große Einschränkung, da ein Präludium
von Bach aus keinem festlichen Gottesdienst wegzudenken ist.
Daher muß eine "romantische" Orgel, wenn sie heute gebaut
wird, andere Kriterien erfüllen als vor hundert Jahren. Bei
der Intonation muß großer Wert auf Klarheit jeder
einzelnen Pfeife gelegt werden. Um dies zu erreichen, müssen
Aufstellungsort, Mensuren und Raumakustik, besonders aber die
richtige Auswahl der Intonationsmittel, zusammenpassen. Nur so
können Weichheit und Fülle mit Transparenz verbunden
werden.
Die neue Orgel der St. Georgskirche hat ihren Schwerpunkt in der
Romantik. Durch barocke Ergänzungen lässt sich, bei
entsprechender Auswahl der Register, barocke Literatur aber
ebenso darstellen. Zusammen mit einem leicht flexiblen Wind und
einer etwas ungleichstufigen Temperatur wird damit eine enorme
Vielseitigkeit erreicht.
Ich wünsche der Gemeinde viel Freude am Farbenreichtum
dieser Orgel.
Reiner Janke, Intonateur
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