Intonation, Reiner Janke
Die Versuchsanordnung (Abb. 2 u. 3)
ähnelte dem Prinzip eines Diaprojektors, wobei die Pfeife das
„Dia" war. Als Lichtquelle diente ein gepulster Laser, der mit
Lichtblitzen in der gleichen Frequenz wie der Grundton der Pfeife diese
seitlich durchleuchtete und mit einem Mikrofon synchronisiert wurde. Eine
Optik, in diesem Fall ein Hohlspiegel, projizierte den Bereich der Kernspalte
auf eine weiße Wand. Für eine kontrastreiche
Darstellung musste der projizierte Lichtstrahl noch von der Kante einer Klinge
berührt werden. Ansonsten sähe das Bild aus wie heiße
aufsteigende Luft. LDA-Untersuchung Der zweite Teil der Untersuchungen
analysierte, im Gegensatz zu der Visualisierung, bei der das Luftblatt
über die gesamte Labienbreite betrachtet wurde, nur einen Ausschnitt,
quasi eine hauchdünne Scheibe dieser Ansicht. Dabei wurde ein genaues
Strömungsprofil erstellt, das Auskunft über die Geschwindigkeit und
Richtung von diesem Teil des Luftblattes gibt. Damit die Luftströmung und
auch der Klang der Pfeife unbeeinflusst blieben, wurde das Verfahren der
Laser-Doppler-Anemometrie (LDA) verwendet (Abb. 6). Dabei sind zwei Laserstrahlen so
ausgerichtet, dass sie sich im Messbereich des Luftblattes kreuzen. Ein
Photodetektor, der auf diesen Schnittpunkt ausgerichtet ist (Abb. 9), misst
Richtung und Geschwindigkeit winzigster Wassertröpfchen, die der Luft
durch ein in der Medizin verwendetes Gerät beigemischt sind.
Akustische Analyse Zur Begleitung der Strömungsanalyse wurden die untersuchten Pfeifen während der LDA-Messungen im reflexionsarmen Raum mit einem Messmikrofon digital aufgezeichnet (Abb. 10) und durch den Verfasser subjektiv beurteilt. Die Auswertung der Aufnahmen erfolgte später im Institut für Bauphysik in Stuttgart. Dort wurden dann zusätzlich Klanganalysen an Duplikaten der in Emden untersuchten Pfeifen unter optimalen akustischen Bedingungen durchgeführt. Zur grafischen Darstellung des Pfeifentones mit allen seinen harmonischen und unharmonischen Klanganteilen wird bei diesen Untersuchungen zunächst eine Spektralanalyse durchgeführt (Abb. 11). Danach misst ein Programm den zeitlichen Verlauf der Einschwingvorgänge der ersten 10 Teiltöne und stellt sie in Form von Scheibendiagrammen dar (Abb. 12). Zum Schluss wird der Klang noch subjektiv durch einen Intonateur beschrieben. Pfeifenintonation und -Präparation Aus messtechnischen Gründen
konnten nur Pfeifen mit maximal 200 Hz verwendet werden. Die hier benutzten
Pfeifen gaben einen Ton der etwa einem G bzw. F eines 4'-Registers
entspricht.
Unterschiede im Verhalten des Luftblattes mit und ohne Kernstiche waren bei der Visualisierung nicht sofort zu erkennen. Bei längerer Betrachtung während der Untersuchungen und auch anschließend bei der Auswertung der Videoaufnahmen entstand der Eindruck, dass sich das Luftblatt mit Kernstichen symmetrischer und weiter ausschwingend bewegte als ohne Kernstiche (Abb. 17). Es war ferner nicht so turbulent. Interessant sind auch die Unterschiede im Einschwingverhalten. Die Kernströmung scheint mit Kernstichen anfangs zwar weicher und diffuser, auf die Länge gesehen aber geschlossener und weitreichender zu sein (Abb. 18). Dieses Luftblatt der gedeckten Pfeife als Animationsfilm
Diesen Einschwingvorgang der gedeckten Pfeife als Animationsfilm
Fotos des Luftblattes einer Schwingungsperiode von der offen Pfeife ohne Bart und Kernstiche |
Diese Fotos als Animationsfilm LDA Die Analyse der LDA-Messungen ergab,
dass im Bereich des Kernstichs die Strömungsgeschwindigkeit deutlich
niedriger und beruhigter war als im übrigen Bereich der Kernspalte. Auch
die Transversalschwingungen waren niedriger. Dies sind Wellenbewegungen, die
sich quer zur Bewegungsrichtung des Luftblattes ausbreiten und dieses
stören. Dieses Geschwindigkeitsprofil einer gedeckten Pfeife als animierte Grafik Akustische Analyse Die deutlichsten Änderungen durch
das Anbringen von Kernstichen waren bei der akustischen Untersuchung zu sehen.
Beim Klangspektrum fällt besonders stark die enorme Reduzierung des
Hintergrundrauschens auf. Gleichzeitig werden aber auch die unharmonischen
Eigenresonanzen des Pfeifenkörpers reduziert. Sie entstehen in jedem Rohr,
wenn es durch ein Rauschen angeregt wird. Beim ersten Teilton sind
Eigenresonanz und Grundton einer klingenden Pfeife noch identisch. Mit jedem
weiteren Teilton verschieben sich die Teiltöne der Eigenresonanz um so
mehr gegenüber den harmonischen, je weiter das Rohr ist. Im Klangspektrum
sind sie als kleine Nebenspitzen zu erkennen. Sie sind auch dafür
verantwortlich, dass weite Pfeifen nie so vokal und sonor klingen wie enge
(Abb. 20). Subjektive Beurteilung Die Messergebnisse stimmen mit der
subjektiven Beurteilung überein. Der stationäre Ton klingt mit
Kernstichen klarer, wärmer und sauberer als ohne. Die Ansprache ist nicht
mehr so hart, und das Rauschen und Kratzen ist deutlich reduziert. Der
Obertonaufbau scheint gleichmäßiger und vokaler. Dabei ist
allerdings zu berücksichtigen, dass es sich hier um eine relativ
große Pfeife mit weiter und gratfreier Kernspalte handelt. Bei
aufgerauten und engeren Spalten oder stärkeren und zahlreicheren Stichen
wäre die Reduktion von höheren Teiltönen deutlich
stärker. Persönliche Bemerkungen und Zusammenfassung Die Bilder und die Beschäftigung
mit der Physik der Pfeife haben meine Vorstellung davon neu geprägt. Sie
lenken meine Gedanken in eine andere Richtung als vorher und haben daher
indirekten Einfluss auf meine Arbeit. Dass die Luft im Bereich des Kernstichs
langsamer und beruhigter strömt, dadurch das Luftblatt beruhigt und mit
einer Art Rippen stabilisiert, ist für mich das wichtigste Ergebnis dieses
Forschungsprojektes. Dadurch erklären sich einige Phänomene aus der
Praxis. Dass z.B. nur große Stiche einen unruhigen Ton stabilisieren
können, kommt meiner Meinung nach aus der Reduktion der
Transversalschwingungen, die bei ihrer Bewegung quer zum Luftblatt immer wieder
auf die beruhigten und stabilen Zonen der Kernstiche treffen. Damit wird ihre
Intensität reduziert. Auch die Beobachtung, dass eine Pfeife mit
Kernstichen wärmer und nicht unbedingt obertonärmer klingt, wird
durch das Verschwinden der unharmonischen Eigenresonanzen und der
Verstärkung einzelner Teiltöne bestätigt. 1. G. Paál, J. Angster, A. Miklós and W. Garen: Laseroptische Strömungsmessungen in Orgelpfeifen. 5. Fachtagung "Lasermethoden in der Strömungsmeßtechnik", TU Berlin 57.1-57.2 (1996) 2. G. Paál, J. Angster, W. Garen und A. Miklós : Geschwindigkeitsmessungen in tönenden Orgelpfeifen. Fortschritte der Akustik, DAGA 97, Kiel, Bad Honnef: DPG-GmbH, 313 - 314 (1997). 3. G. Paál, J. Angster, W. Garen und A. Miklós : Application of laser techniques to flows in flue organ pipes. Laser Anemometry, Advances and Applications. Proc. Of the 7th Int. Conf. Univ. Karlsruhe, Germany, 151-157 (1997) 4. G. Paál, J. Angster, W. Garen und A. Miklós: Sound and flow at the mouth of flue organ pipes. Part I. Fully developed state. Proceedings Institute of Acoustics, Vol. 19, Part 5, Book 2 (ISMA '97, Edinburgh), Institute of Acoustics, St Albans, UK, 295 -301 (1997) 5. G. Paál, J. Angster, W. Garen und A. Miklós: Sound and flow at the mouth of flue organ pipes. Part II. Transient state. Proceedings Institute of Acoustics, Vol. 19, Part 5, Book 2 (ISMA '97, Edinburgh), Institute of Acoustics, St Albans, UK, 333 - 338 (1997) 6. J. Angster, G. Paál, W. Garen und A. Miklós: Effect of voicing steps on the stationary spectrum and attack transient of a flue organ pipe. Proceedings Institute of Acoustics, Vol. 19, Part 5, Book 2 (ISMA '97, Edinburgh), Institute of Acoustics, St Albans, UK, 285 - 294 (1997) 7. Paál, G., Angster, J., Pitsch, S., Miklós, A., Janke, R.: Orgeln: Die Begegnung von Physik, Kunst und Handwerk. Videofilm. Filmstudio Fachhochschule Ostfriesland, Emden 1999 8.A. Miklós and J. Angster: Sound production of flue organ pipes. 137th Meeting of the Acoust. Soc. Amer and 2nd Convention of European Acoust. Assoc. Acustica united with Acta Acustica. Vol. 85. 1999, (12-13) 9. J. Angster and A. Miklós: Intensive training on acoustics of pipe organs for organ builders and organists. Acustica united with Acta Acustica. Vol. 85. 1999, (12-13) Danksagung: Das
Forschungsprojekt wurde vom Ministerium für Wissenschaft und Kultur in
Niedersachsen finanziert.
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