Intonation, Reiner Janke
Auszug aus der Festschrift zur Weihe der restaurierten Ibachorgel in der ev. Kirche in Halver (Westfalen), restauriert von Freiburger Orgelbauu Hartwig Späth 1996, II/24

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Der Intonateur über seine Arbeit

Intonation - was ist das?

Die Intonation ist die klangliche Gestaltung der Orgelpfeifen. Dabei wird der Bereich des Labiums (Gesicht der Pfeife) mit Spezialwerkzeugen bearbeitet, um die Pfeife in Klangfarbe und Lautstärke zu verändern und ihr einen klaren und vollen Ton abzugewinnen, den sie von sich aus nicht gibt. Außerdem müssen alle Register (Pfeifenreihen einer Bauform) in sich wie auch zueinander in Klangcharakter und Lautstärke ausgeglichen und gestimmt werden. Der Intonateur bezieht den Stil der Orgel und die Raumakustik in seine Arbeit ein. Neben der Intonation wird der Klang einer Orgel noch durch die Disposition (Zusammenstellung der Register) und die Mensur (Verhältnis von Durchmesser zu Länge) wesentlich bestimmt. Die Intonation hat jedoch den größten Einfluß auf den Klang.

Das Intonieren ist sehr gut mit der Stimmbildung eines Sängers zu vergleichen. In beiden Fällen ist es wichtig, daß alle an der Klangentwicklung beteiligten Teile optimal aufeinander abgestimmt und weit geöffnet sind. Beim Sänger ist dies der Rachenbereich und bei der Pfeife der Bereich um das Labium (das Loch, an dem der Pfeifenton entsteht). Die Legierung (Mischungsverhältnis von Zinn und Blei), die Bearbeitung und das Alter einer Pfeife beeinflussen den Klang dagegen fast nicht. Es schwingt ja kein Material wie bei einer Geige, sondern Luft, eine Art "Luftsaite", die auch Luftblatt genannt wird. Je nach dem wie dieses Luftblatt beschaffen ist, das um die Kante des Oberlabiums schwingt, ändert sich die Tonqualität einer Pfeife.

Im Laufe der Orgelbaugeschichte haben sich viele Intonationstechniken entwickelt, mit denen das Luftblatt in seiner Beschaffenheit verändert wird. Von 35 möglichen Parametern, die den Klang einer Pfeife beeinflussen können, haben die Höhe des Aufschnitts (der Schlitz im "Gesicht" der Pfeife), die Weite der Kernspalte (die Spalte, aus der die Luft ausströmt, die die Pfeife zum Klingen bringt) und sogenannte Kernstiche (das sind Kerben, die in Richtung der Luftströmung in eine oder beide Kanten des Luftspaltes eingedrückt werden) den größten Einfluß auf den Klang.

Die Intonation im Rahmen einer Restaurierung unterscheidet sich deutlich von der einer neuen Orgel. Bei einer neuen Orgel setzt der Intonateur seine eigenen Klangvorstellungen um und kann dabei alle Klangparameter frei bestimmen. Für eine Restaurierung muß er sich der Klangvorstellung des Erbauers beugen, die durch das vorhandene Pfeifenwerk mit den wichtigsten Klangparametern vorgegeben ist. Diese Arbeit gleicht dem Restaurieren eines alten Gemäldes, bei dem zunächst auch die Schmutzschicht beseitigt wird und so die ursprünglichen Farben wieder zum Vorschein kommen. Fehlende Stücke müssen in gleicher Farbe und Technik ersetzt oder ausgebessert werden. Das Motiv und die Auswahl der Farben bleiben dabei im wesentlichen unverändert.
Da sich das klangliche "Motiv" einer Orgel aus vielen hundert Pfeifen zusammensetzt, ist es während der Restaurierungsarbeiten in der Werkstatt noch nicht erkennbar. Erst wenn die Orgel abschließend in der Kirche intoniert wird, tritt im Zusammenspiel aller Register das klangliche Bild des Erbauers hervor. Darum ist jede Restaurierung ein kleines Abenteuer mit Überraschungen.

Die Intonation der restaurierten Ibach-Orgel

Obwohl die Orgel vor der Restaurierung äußerlich relativ unverändert erschien, sind in ihrem 150-jährigen "Leben" immer wieder Veränderungen am Pfeifenwerk vorgenommen worden. Der größte Teil der Holzpfeifen wurde in den 60er Jahren wegen Holzwurmbefalls durch neue ersetzt. Sämtliche Ibachschen Zungenstimmen (das sind die schnarrenden Register) wurden durch neue, in Klangfarbe und Bauart unpassende, ausgetauscht. Die beiden dominierendsten Register, Mixtur und Cornet, bestanden nur noch zum Teil aus originalen Pfeifen.
Neben diesen deutlich erkennbaren Veränderungen wurden außerdem noch unzählige Eingriffe im Detail gerade an den o.g. wichtigsten Klangparametern der Intonation und den Stimmeinrichtungen der Pfeifen vorgenommen. Daß hier nicht mehr von einem originalen Ibachschen Klangbild gesprochen werden konnte, liegt auf der Hand.
Um bei diesem heterogenen Pfeifenwerk wieder einen möglichst originalgetreuen Klang zu erhalten, war es nötig, die Intonationsmittel und -techniken Ibachs anhand gut erhaltener Pfeifen genau zu studieren, und alle ergänzten oder veränderten Pfeifen in diesem Sinne zu intonieren. Die wichtigsten Intonationsmittel Ibachs sind: Enge Fußlöcher, relativ weite Kernspalten, gemäßigt eingesetzte schlanke Kernstiche, mittelhohe Aufschnitte und sehr spitzwinklige Kerne.
Gerade die neueren Pfeifen wurden aber mit ganz anderen Techniken intoniert und färbten dadurch den Klang kühler und kratziger.

Während der Labialpfeifenbestand bei der jetzigen Restaurieung vollständig übernommen werden konnte, mußten die Zungenstimmen rekonstruiert werden, denn die vorhandenen entsprachen in Klang und Mensur nicht dem Stil Ibachs. Als Vergleichsinstrument für diese Rekonstruktion diente die Ibachorgel in Roggendorf, bei der diese Register noch erhalten sind.

Nach Abschluß der Vorintonation in der Werkstatt, bei der jede Pfeife in mühsamer Detailarbeit (etwa 20 Minuten pro Pfeife) wieder in einen orginalgemäßen Zustand gebracht wurde, erfolgte die abschließende Intonation in der Kirche. Dabei wurden nur noch kleine Korrekturen der Lautstärkeverläufe und Klangabstufungen vorgenommen, um die ursprünglichen Klangproportionen der Register wieder herzustellen.

Ein Problem der Restaurierung war von Anfang an die uneinheitliche Stimmtonhöhe der Pfeifen. Alle Ibachschen Pfeifen waren ursprünglich einen halben Halbton höher gestimmt als unser heutiger Kammerton. Die später hinzugefügten Pfeifen hatten dagegen die heutige Stimmtonhöhe. Vor der Restaurierung waren die meisten Ibachschen Pfeifen um einen halben Ton höher gerückt und mit klanglich nachteiligen Stimmeinrichtungen versehen.
Der gerückte Zustand wurde beibehalten, aber die Stimmeinrichtungen sind jetzt nach der Art Ibachs geändert worden. Dies wirkt sich klanglich positiv aus.
Auch die Temperierung (die Verteilung der Halbtonabstände) ist nun wieder etwas ungleich. Sie entspricht in etwa einem zur Erbauungszeit üblichen Stimmsystem, nimmt aber Rücksicht auf die heutigen Hörgewohnheiten.

Die Orgel wurde jetzt wieder in einen Zustand zurückgeführt, der ihrer Erbauungszeit entspricht. Sie ist damit ein sehr wertvolles Dokument aus der Zeit des mittleren 19. Jahrhunderts. Orgeln aus dieser Epoche erfreuen sich zur Zeit immer größerer Beliebtheit in der Orgelwelt. Gerade bei jungen Organisten sind Orgeln wie hier in Halver ausgesprochen "in".

Ich wünsche der Gemeinde viel Freude am Klangreichtum dieses Instrumentes, mit dem jeder Gottesdienst schöner und reicher wird.

Reiner Janke, Intonateur

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