Intonation, Reiner Janke
Auszug aus der Festschrift zur Weihe der Orgel in der ev. Pauluskirche in Dinkelsbühl, erbaut von Freiburger Orgelbau Hartwig Späth 1995, III/39

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Der Intonateur über seine Arbeit

Die klangliche Gestaltung der Orgelpfeifen bezeichnet man als Intonation. Der Bereich des Labiums (Gesicht der Pfeife) wird beim Intonieren mit Spezialwerkzeugen bearbeitet, um die Pfeife in Klangfarbe und Lautstärke zu verändern und ihr einen klaren und vollen Ton abzugewinnen, den sie von sich aus nicht gibt. Außerdem müssen alle Register (Pfeifenreihen einer Bauform) in sich, wie auch zueinander, in Klangcharakter und Lautstärke ausgeglichen und gestimmt werden. Der Intonateur bezieht den Stil der Orgel und die Raumakustik in seine Arbeit ein. Neben der Intonation wird der Klang einer Orgel noch durch die Disposition (Zusammenstellung der Register) und die Mensur (Verhältnis von Durchmesser zu Länge) wesentlich bestimmt. Die Intonation hat jedoch den größten Einfluß auf den Klang.

Das Intonieren kann man sehr gut mit der Stimmbildung eines Sängers vergleichen. In beiden Fällen ist es wichtig, daß alle an der Klangentwicklung beteiligten Teile optimal aufeinander abgestimmt und weit geöffnet sind. Beim Sänger ist dies der Rachenbereich und bei der Pfeife der Bereich um das Labium (das Loch an dem der Pfeifenton entsteht). Die Legierung (Mischungsverhältnis von Zinn und Blei), Bearbeitung und das Alter einer Pfeife beeinflussen den Klang dagegen fast nicht. Es schwingt ja kein Material wie bei einer Geige, sondern Luft, eine Art "Luftsaite", die auch Luftblatt genannt wird. Je nach dem wie dieses Luftblatt beschaffen ist, das um die Kante des Oberlabiums schwingt, ändert sich die Tonqualität einer Pfeife.

Im Laufe der Orgelbaugeschichte haben sich viele Intonationstechniken entwickelt, mit denen man das Luftblatt in seiner Beschaffenheit verändern kann. Von 35 möglichen Parametern die den Klang einer Pfeife beeinflussen können, haben die Höhe des Aufschnitts (der Schlitz im "Gesicht" der Pfeife), die Weite der Kernspalte (die Spalte aus der die Luft ausströmt, die die Pfeife zum Klingen bringt) und sogenannte Kernstiche (das sind Kerben, die in Richtung der Luftströmung in eine oder beide Kanten des Luftspaltes eingedrückt werden) den größten Einfluß auf den Klang.

Bei der Orgel hier in Dinkelsbühl fällt der warme und weiche Klang auf. Er ist die Folge einer sehr zeitaufwendigen Intonation, bei der ausschließlich alte Intonationstechniken des 18.- und 19. Jahrhunderts verwendet wurden.

Um zu verstehen, warum viele Orgeln der letzten Jahrzehnte härter und schriller klingen, soll hier ein kurzer Rückblick in die Orgelbaugeschichte gegeben werden.

Die Orgel ist sowohl in ihrer äußeren Erscheinung, als auch in der inneren Zusammensetzung das wohl wandelbarste Musikinstrument. Darum haben die jeweiligen Musikepochen das Aussehen und den Klang dieses Instrumentes immer wieder verändert. Während des 150 Jahre andauernden Barock, konnte die Orgel zu einer Hochform heranreifen. Eine weitere Blütezeit erlebte sie zur Zeit der Romantik. Anfang unseres Jahrhunderts endete die bis dahin selbstverständliche Fortschreibung jeweils einer Stilepoche in Musik und Architektur. Die sogenannte "Orgelbewegung", eine Laienbewegung die den europäischen Orgelbau dazu gebracht hat wieder Orgeln nach den barocken Prinzipien zu bauen, hinterfragte die bis dahin ununterbrochene Orgelbautradition. Als Resultat dieser Bewegung bauten die Orgelbauer seit den 30er Jahren (in Deutschland durch den II. Weltkrieg unterbrochen) zunehmend Orgeln im neobarocken Stil. Dieser Stil ist eine scharfe Abkehr von der bis dahin üblichen Bauweise in Technik, äußerer Gestalt und Klang.

Die Orgeln der Jahrhundertwende, die auch "Fabrikorgeln" geschimpft wurden, mißfielen einigen Organisten wegen ihres dumpfen und plumpen Klanges und der trägen Spielmechanik. Solche Eigenschaften machten diese Instrumente für die Interpretation der wiederentdeckten Musik Bachs ungeeignet. Als Idealorgel für die Musik der Barockzeit von 1600-1750 entwickelte sich ein Orgeltyp mit reichhaltigem Obertonaufbau und schlanken Grundtönen.

Vorwiegend in wirtschaflich vernachlässigten Regionen Norddeutschlands waren über die Jahrhunderte noch einige Barockorgeln erhalten geblieben, deren Bauprinzip nun als Vorbild für Neobarockorgeln diente. Leider wurde die Erforschung dieser Vorbilder nicht wissenschaftlich und umfassend genug betrieben, so daß die Beschreibung der klanglichen Eigenschaften solcher Orgeln pauschal und überzeichnet war. Noch heute verbinden viele Orgelkenner fälschlicher Weise mit norddeutschen Orgeln einen scharfen Klang.

Die Orgelbewegung war, vom damaligen Zeitgeist beeinflußt, teilweise recht idiologisch geprägt. Den Orgelbauern wurde gleichsam dogmatisch vorgeschrieben, daß sie ihre Pfeifen fortan mit niedrigen Aufschnitten, engen Kernspalten und ohne die "klangtötenden" Kernstiche zu intonieren hätten. Nur so wäre ein "klarer" und "ehrlicher" Klang zu erreichen, der sich für barocke Orgelmusik eignet.

Dogmen engen jede Art von Kunst ein. Wenn durch sie, wie hier beim Orgelklang, die drei wichtigsten Intonationsparameter (siehe oben) betroffen sind, muß automatisch die küntlerische Ausdruckskraft einer Orgel eingeschränkt werden. Neobarockorgeln zeichnen sich darum durch einen kühlen und spitzen Klang aus, der selbst Flötenstimmen eigen ist. Dieser Klang, der aus neu entstandenen Intonationstechniken resultiert, die in klangentscheidenden Bereichen keine Gemeinsamkeit mit der alten Intonationstradition haben, ist ungeeignet, romantische Orgelmusik oder auch lyrische Stücke aus der Barockzeit stilgerecht zu interpretieren. Ihm fehlt die Weite und Wärme der Flötenstimmen und die Anmut der Prinzipale.

Zur Zeit werden in der Orgelszene die harmonischen und fein differenzierten Klänge der romantischen Orgel wiederentdeckt und die Orgelmusik der Romantik, die zu Anfang der Orgelbewegung als dekadent bezeichnet wurde, hat inzwischen einen fast gleichberechtigten Stellenwert neben der Barockliteratur gefunden. Es fehlt jedoch an Orgeln, die das weite Spektrum von barocken bis romantischen Klängen in einem Instrument vereinigen.

Wenn heute eine größere Orgel gebaut wird, erwartet man von ihr, daß möglichst alle Orgelmusik stilgerecht dargestellt werden kann. Dieser Wunsch kann aber nicht erfüllt werden, denn die Anforderungen innerhalb der Länder, Regionen und Musikepochen sind so unterschiedlich, daß sich bestimmte Konstellationen gegenseitig ausschließen. Es ist aber möglich, verwandte Musikepochen und -stile zu kombinieren und dabei einen Schwerpunkt zu setzen. Dazu müssen die durch die Einwirkung der Orgelbewegung, besonders im romantischen Bereich, verlorengegangenen alten Intonationstechniken neu erlernt werden. Es kann dann jedes Register mit den typischen Intonationsmitteln der jeweiligen Zeit intoniert werden. Hierdurch entsteht eine reichhaltige Klangfarbenpalette, die dem Organisten einen großen Gestaltungsspielraum gibt.

Der Stil der Orgel in Dinkelsbühl ist französisch mit deutschen Akzenten. Den klassischen Kern bilden (mit Ausnahme der Fl–te harmonique) Hauptwerk und Positiv, die aus der Zeit um 1780 stammen könnten. Sie werden von einem romantischen Schwellwerk, das stilistisch etwa in der Mitte des 19. Jahrhunderts einzuordnen, ist ergänzt. Zusammen mit einem leicht flexibelen Wind und einer etwas ungleichstufigen Temperatur wird damit eine enorme Vielseitigkeit erreicht.

Ich wünsche der Gemeinde viel Freude am Farbenreichtum dieser Orgel.

Reiner Janke, Intonateur

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