Intonation, Reiner Janke |
Innenansicht eines Intonateurs Zu erst erschienen ISO-Journal, Ausgabe April 2012, Nummer 40 Welche Leitgedanken prägen diese klangliche Idee? Diese Frage wird naturgemäß bei jedem Intonateur etwas anders ausfallen. Für mich haben sich vier Hauptpunkte herausgebildet, die meine Arbeit bestimmen. Die Harmonie Die französische Bezeichnung des Intonateurs als "L' harmoniste" ist am treffendsten. Es bedeutet frei übersetzt: Der, der die Harmonie herstellt. Der Intonateur stellt die Harmonie des einzelnen Tones, des Registers in sich, der Register zu einander, der Werke miteinander und der Orgel mit dem Raum her. Die Balance Erst die richtige Balance erzeugt Harmonie. Innerhalb eines Pfeifentones ist die richtige Aufschnitthöhe ein solcher Balanceakt. Ist der Aufschnitt zu niedrig, klingt die Pfeife zu forciert, hart, scharf und spricht langsam an. Ist der Aufschnitt zu hoch, verliert sie an Kraft, Obertönen und Stabilität. Bei allen Arbeiten gilt es, den schmalen Grat der richtigen Balance zu finden. Hier liegt auch die größte Effizienz des Klanges. Ein ausbalancierter Ton hat Fülle, Farbe und Lebendigkeit. Ausbalancierte Mixturen werden niemals als zu laut empfunden und ausbalancierte Register verschmelzen im hohen Grade miteinander. Anmut trotz Erhabenheit Das etwas altmodische Wort beschreibt am Besten, welche Ausstrahlung von einem Instrument ausgehen sollte. Da die Position im Raum und das volle Spiel häufig Erhabenheit vermitteln, sollten Ohr und Auge auch etwas Weiches, Liebliches und Feines bekommen, das sie anrührt und verführt. Es muss für den Laien immer etwas Geheimnisvolles von einer Orgel ausgehen. Der Orgelbauer, für den der Klangkörper zunächst einmal Werkstück und Arbeitsplatz ist, entdeckt dieses Geheimnis, beim Austausch mit den Musikern und auch musikalisch gebildeten Laien, die die Wirkung der verschiedenen Orgeln subjektiv beschreiben. Die "Farbenlehre": Den Klängen kann man auch einzelne Farben zuordnen.
Kühle Klänge würde ich mit der Farbe Blau verbinden, warme mit
der Farbe Rot, und stumpfe mit Braun. Jeder Raum hat einen bestimmten Klang.
Oft bestimmen schon die Materialien, die in einem Raum vorherrschen, seine
Klangfarbe. Ein kahler Raum mit großen Fensterflächen klingt
kühl und hart, wie die Farbe Blau. Ein Gemeindezentrum mit viel Holz und
Polsterstoffen wirkt dagegen wie die Farbe Braun. Bei der klanglichen Planung
sollte die Klangfarbe des Raumes immer mit einbezogen werden. Eine
mixturenbetonte Orgel mit strahlenden Klängen kann ihren Obertonreichtum
sehr gut in einem blauen oder weißen Raum entfalten. In einem braunen
wird dieser Klang dagegen als unangenehm und schrill empfunden. Hier sind
weiche und satte Klänge gefragt. Wenn eine Orgel erklingt, sind an der Klangentfaltung nicht nur die Pfeifen beteiligt. Vielmehr hat jedes Detail des Instruments Einfluss auf den Klang, wenn auch nicht im gleichen Maße. Eine Orgel sollte immer im Raum beurteilt werden, denn das Instrument wird für die Zuhörer gebaut und nicht für die Spieler. Die nachfolgend aufgeführten Komponenten beziehen sich auf die Wahrnehmung an einem durchschnittlichen Standort im Raum in der Reihenfolge ihrer Dominanz. 1. Raum und Aufstellungsort: Die Akustik des Raumes und der Aufstellungsort bestimmen sicherlich zur Hälfte den klanglichen Gesamteindruck. Diese Umstände hat der Orgelbauer meist nicht in der Hand, daher kann auch eine noch so gut intonierte Orgel in einem Wohnzimmer oder einer Übezelle niemals einen überwältigenden Eindruck beim Zuhörer hinterlassen. Umgekehrt kann aber ein mittelmäßig intoniertes Instrument in einer guten Akustik eine ganz akzeptable Wirkung erzielen. Dies soll aber kein Grund sein, es mit der Sorgfalt der Intonation in einem Raum, der beste Bedingungen bietet, nicht so genau zu nehmen. Auch in einer optimalen Umgebung lohnt sich die letzte Perfektion. Das Ergebnis ist dann um so beeindruckender. Und wenn sich die Umstände schwierig gestalten, entsteht durch eine hohe Intonationskunst immer noch eine gute Orgel. 2. Intonation: Weiter hat die Intonation den entscheidenden Einfluss. Mir sind 55 Parameter bekannt, die den Klang einer Labialpfeife beeinflussen. Alleine eine extreme Veränderung des Aufschnittes kann ein und dieselbe Pfeife von einem Salizional zu einer Flöte verwandeln. Bei Renovierungen und Umbauten kommt es vereinzelt vor, dass ich Register ganz neu intoniere. Wenn ich alle Mittel einsetze, die mir zur Verfügung stehen, ist das Register danach so verändert, dass nichts mehr an sein vorheriges Klangbild erinnert. Die Bandbreite der Intonationsmöglichkeiten ist sehr groß und kann Instrumente mit gleicher Disposition extrem unterschiedlich klingen lassen. Dies wird auch durch die Klangbilder der verschiedenen Epochen deutlich, bei denen vor allem die jeweilige Intonation zu unterschiedlichen Ergebnissen führt. 3. Disposition und Bauform: Da die Dispositionen von Orgeln in der Regel keine erheblichen Unterschiede aufweisen (gewählt wird üblicherweise eine Mischung aus Prinzipalen, Flöten, Streichern, Mixturen und Zungen), ist der Einfluss auf das Gesamtklangbild nicht so ausgeprägt, wie es oft angenommen wird. Auch die Mensuren oder Bauformen verändern das Klangbild deutlich weniger, als es mit Intonationsmitteln möglich ist. 4. Das Windsystem: Diese "Lunge" und "Bauchstütze" der Orgel kann, ähnlich wie bei einem Sänger, vieles am Klang verbessern oder verderben. Steigt der Winddruck beim vollen Spiel in den Laden an, so strahlt der Schlussakkord und drängt nach vorne. Fällt der Druck dagegen ab, so klingt der Schlussakkord schmutzig und schwirrend. Da nützt selbst genauestes Stimmen nichts. Auch ein kurzatmiger, hartstößiger Wind kann eine Komposition vollends aus dem Takt bringen, wohingegen ein langsam und weich schwingendes Windsystem die Interpretation belebt. Ladenbälge mit großen Einlaßventilen in Tellerform neigen durch ihre Konstruktion dazu, bei wenig Windverbrauch im Stakkatospiel ein "Trillern" im Wind zu erzeugen. Da dies oft nicht isoliert herausgehört wird, entsteht beim Zuhörer der Eindruck eines harten Windes. 5. Temperierung: Dass eine ungleichstufige Temperierung auch einen großen Einfluss auf den Klangeindruck hat, wird meines Erachtens nach zu wenig beachtet. Beim Ausgleichen auf der Intonierlade stimme ich manchmal ein Register vorübergehend mitteltönig. Im Vergleich zu der früheren etwas ungleichstufig gestimmten Version entsteht der Eindruck, ein völlig anderes Register vor sich zu haben. Die Wirkung der reinen Terzen und verschiedenen Halbtonschritte lässt die Pfeifen klanglich sofort um 300 Jahre altern. Der Vergleich des Klanges historischer Orgeln mit dem Klang moderner Orgeln hinkt, da die Instrumente gewöhnlich unterschiedlich gestimmt sind. Auch die verschiedenen Varianten ungleichstufiger Temperaturen von gleichstufig modifiziert bis wohltemperiert (z. B. Kirnberger III) verändern den Klangeindruck desselben Instrumentes deutlich. 6. Gehäuse: Ein Gehäuse hat keine aktiv klangbildende Wirkung. Auch seine Oberfläche und Form haben auf die Reflexion des Klanges nur einen sehr untergeordneten Einfluss. Ein um 2 mm erhöhter Winddruck wirkt sich zum Beispiel stärker aus. Das Gehäuse schattet jedoch vor allem den Klang ab. Bei kleinen Ausführungen, wie Rückpositiven und Brustwerken, färbt es den Klang aufgrund seiner Resonanzen. Dies betrifft insbesondere die tiefe Lage von 8' und 4' Registern. Je größer das Gehäuse jedoch wird, um so weniger hört man eine Färbung. Mitschwingende Füllungen können nur durch einzelne Töne angeregt werden. Im schlimmsten Fall erzeugen sie ein Schnarren, ansonsten wird Schallenergie in Bewegungsenergie verwandelt und so dem Klang entzogen. Eine Orgel ohne Gehäuse muss wesentlich sorgfältiger intoniert werden, da das Gehäuse und die Prospektpfeifen nicht die unangenehmen Nebengeräusche eines Pfeifentones herausfiltern. 7. Ladensystem bzw. Dimensionierung von Kanzelle und Ventil: Dass Schleifladen grundsätzlich besser klingen als
Kegelladen, habe ich bislang noch nicht festgestellt. Es gibt Schleifladen mit
1,5 m langen und zudem hohen Kanzellen, bei denen eine Flöte 4' im
Diskant bei der Ansprache unerträglich trillert. Ich kenne
demgegenüber mechanische Kegelladen, die eine höchst differenzierte
Ansprache der Pfeifen ermöglichen, ohne dass dies explosionsartig und
zittrig klingt. Länge und Querschnitt einer Kanzelle bestimmen die
Resonanzfrequenz, die in einem bestimmten Frequenzbereich als unangenehm
wahrgenommen wird. Dann trillert eine lange Tonkanzelle genau so wie eine enge
Registerkanzelle. Hinzu kommt die Dimensionierung der Verführung im Stock
bzw. der Bohrung vom Kegel- oder Taschenventil bis zur Pfeife. Ist sie zu
klein, spricht die Pfeife zäh an. Dass viele kleine Pfeifen auf Kegelladen
starke Kernstiche haben und verglichen mit einer barock intonierten Pfeife
dadurch zäh und matt ansprechen, ist ein Hinweis darauf, dass mit diesem
Intonationsmittel das Trillern der Registerkanzelle gedämpft werden
sollte. Eine andere Dimensionierung der Registerkanzelle oder eine
Auslassbohrung am Ende der Kanzelle würde aber diesen
"Missbrauch" der Intonation überflüssig machen. Weitere Einflüsse auf das Gesamtklangbild ? Auch etliche weitere Faktoren haben Anteil am Gesamtklangbild,
diese im Folgenden aufgeführten aber nur in sehr untergeordnetem, wenn
nicht minimalen Maße. Pfeifenwandschwingungen Den Pfeifenwandschwingungen wird oft ein erheblicher Einfluss
auf den Klang einer Pfeife, ähnlich der Wirkung des Resonanzbodens einer
Geige auf deren Klang, und damit eine maßgebliche Wirkung auf den
Gesamtklang beigemessen. Hier liegt eine Überbewertung vor. Die
übersteigerte Beschäftigung mit den Pfeifenwandschwingungen lenkt von
den eigentlichen Mitteln der den Klang prägenden Intonation ab, die erst
einmal beherrscht werden müssen. Es ist selbstverständlich, dass es
Pfeifenwandschwingungen gibt. Jeder, der eine klingende 4'-Pfeife anfasst,
spürt dies. Nur ist es physikalisch unmöglich, dass diese
Wandschwingungen Schall abstrahlen. Es entsteht vielmehr ein akustischer
Kurzschluss. Dieser entsteht wie folgt: Wandschwingungen im Versuch Für einen Versuch haben wir sieben Pfeifen aus
unterschiedlichen Legierungen und Wandstärken (zum Teil stark
ausgedünnt) gleicher Bauart und Mensur von C, 1' herstellen lassen. In
einem ersten Durchlauf habe ich alle Pfeifen gleich intoniert und sie einigen
Fachleuten vorgespielt. Hier konnte keine einheitliche Beurteilung gefunden
werden, die Rückschlüsse auf das Material zuließ. In einem
zweiten Durchlauf wählten wir einen anderen Ansatz. Ich habe alle Pfeifen
so intoniert, dass sie gleich klingen, wobei die Aufschnitthöhen alle
genau übereinstimmten. Dieser Arbeitsprozess war sehr langwierig. Es
zeigte sich, das je nach Entfernung und Winkel der Klangeindruck variierte. Ein
gleichmäßiges Ergebnis ließ sich erst durch vielfache
Positionsveränderungen bei der Überprüfung der Klangbildung
erzielen. Für die bearbeiteten Pfeifen hat die Physikerin Dr. Judit
Angster am Institut für Bauphysik in Stuttgart die Klangspektren im
reflexionsarmen Raum aufgezeichnet. Die Kurven waren, zu unserem Erstaunen,
praktisch identisch. Mit anderen Worten: auch messtechnisch klangen die Pfeifen
alle gleich. Große Unterschiede gab es dagegen bei der
Fußlochgröße, der Kernspaltenweite und der Tiefe der
Kernstiche. Es zeigte sich, je härter und dicker das Material war, desto
weniger Wind brauchte der Ton, um den gleichen Klang zu erzeugen.
Zinkblech und andere Materialien Das zu Unrecht viel geschmähte harte Zinkblech eignet sich
darum so gut für Streicher, weil hier die Wandschwingungen geringer sind.
Bei den kleinen Durchmessern im Verhältnis zur Länge wird die
Wandungsstärke in der Regel bei Zinnpfeifen leider etwas zu dünn
gewählt und gibt dann, besonders bei Legierungen unter 80%, dem
Schalldruck leichter nach als bei hartem Zink. Weithin überschätzt
wird auch die Wirkung der Materialwahl auf den Gesamtklang. Wenn Holz und
Metallpfeifen unterschiedlich klingen, liegt dies nur an der unterschiedlichen
Bauform im Labiumbereich. Stellt man eine Holz- und Metallpfeife mit gleichen
Querschnittflächen her und sägt sie oberhalb des Oberlabiums durch,
kann man die Pfeifenkörper austauschen, ohne einen Klangunterschied zu
hören. Weiterhin ist auch bei kleineren Zinkpfeifen ein eingesetztes Labium vorhanden. Dies besitzt zwangsläufig eine andere Geometrie als ein gedrücktes oder gerissenes. Die Labierung ist etwas schmaler, der Winkel des Unterlabiums ist steiler und das Oberlabium ist dickwandiger. Diese Dicke des Oberlabiums hat einen entscheidenden Einfluss auf den Klang, nicht die Metallwahl. Dass Zinnpfeifen, die aus statischen Gründen dünnwandiger gefertigt werden können, obertöniger als bleihaltige Pfeifen klingen, liegt an der Dicke des Oberlabiums. Schlusswort Im 2. Kapitel der Orgelprobe von Andreas Werckmeister 1698
steht: "Auch habe man wohl acht, dass das Pfeifenwerk nicht zu dünne
ausgearbeitet sei, hervorab, wenn das Metall schlecht, und viel Blei hat: Denn
so es zu dünne ausgearbeitet ist, kann eine solche Pfeife ohne Verletzung
und Beulen, welche sie im Angreifen empfanget, nicht herausgenommen werden. Zum
Anderen wird eine solche Pfeife nimmer so gut klingen, als eine, so stark genug
ist, denn das ganze Corpus wird von dem Sono gar zu stark beweget, dass es
immer mit schnurren will. Hier aber muss die Materia nicht klingen, sondern die
Capazität muss den gewissen Sonum geben, indem die fractio aëris (die
Schwingung der Luft) in dem Labio geschieht." Dem ist nichts
hinzuzufügen. |